Sicherheit in München
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Sicherheit in den Kulturwissenschaften

Wenn Kulturwissenschaftler_innen sich mit ‚Sicherheit’ beschäftigen, dann gehen sie nicht davon aus, dass ‚Sicherheit’ für alle Menschen und zu jeder Zeit dasselbe bedeutet (hat). Und auch nicht davon, dass ‚Sicherheit’ eine objektive Größe ist oder dass ‚Sicherheit’ in München, Deutschland oder global jemals wirklich erreicht werden kann (z.B. durch mehr Überwachungskameras, mehr Grenzkontrollen oder eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern oder den EU-Staaten). Vielmehr interessieren Kulturwissenschaftler_innen sich dafür, wann ‚Sicherheit’ für wen wie zum Thema wird.

Statt ‚Sicherheit’ zu definieren und zu erklären, wie z.B. öffentliche Räume sicherer werden können, geht es uns also darum, zu verstehen, warum überhaupt in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gerade so viel von ‚Sicherheit’ die Rede ist, was dabei eigentlich jeweils mit ‚Sicherheit’ gemeint ist und welche praktischen, alltäglichen Konsequenzen dies hat.

Deswegen haben wir uns in unseren einjährigen Forschungsprojekten mit vier Dimensionen der Herstellung von ‚Sicherheit’ beschäftigt: 1. Mit Sicherheitsvorstellungen bzw. -diskursen 2. Mit Sicherheitsmaßnahmen und -praxen 3. Mit Sicherheitsakteur_innen und ihrem Alltag 4. Mit den Öffentlichkeiten von Sicherheit, mit den Gesellschaftsbildern die im Modus der Sicherheit produziert werden. Damit sind wir einem Vorschlag der Kulturanthropologin Alexandra Schwell von der Universität Hamburg gefolgt, die diese vier Dimensionen für die kulturwissenschaftliche Sicherheitsforschung einfordert.1

1. Sicherheitsvorstellungen und -diskurse

Kaum eine_r will und kann heute noch gegen mehr ‚Sicherheit’ sein. Doch wenn von ‚Sicherheit’ die Rede ist, können damit je nach Kontext höchst unterschiedliche Dinge gemeint sein: Z.B. kann die Herstellung von ‚Sicherheit’ an Bundesliga-Spieltagen in München bedeuten, die unterschiedlichen Fangruppierungen und Ultras unter Kontrolle zu halten ODER auch das Fußballspiel als Großereignis vor terroristischen Anschlägen zu schützen.

Die Debatten um und Vorstellungen von ‚Sicherheit’ haben sich in der vergangenen Dekade verschoben. Terror ist zu einer gewichtigen Größe geworden. Statt um soziale Absicherung oder Arbeitssicherheit geht es heute vielen, wenn sie von ‚Sicherheit’ sprechen, um die Sicherheit vor Terror. Dies war nicht immer so. Ein Beispiel für eine solche Verschiebung unserer Sicherheitsvorstellungen findet sich auf dem Gebiet der Infrastrukturen: Während es hier bis vor kurzem vor allem um ‚Safety’ ging, also um Betriebsabläufe und die Gefahr, dass Technik selbst versagt (um Safety geht es z.B. wenn ein System so konstruiert ist, dass es auch bei Stromausfall weiterläuft), geht es mittlerweile vor allem um die Gefahr terroristischer Anschläge auf zentrale Infrastrukturen und damit um ‚Security’.

Der Fokus hat sich prinzipiell von der Verhinderung systeminterner Probleme auf die Verhinderung von Angriffen von außen verschoben.

Sicherheitsdiskurse, so Katrin Meyer, „bilden zentrale Einsatzstellen, an denen politische und soziale Verhältnisse verhandelt, strukturiert und machtpolitisch gestaltet werden. Vor diesem Hintergrund ist eine dringliche Frage, welche Sicherheitskonzepte derzeit die Macht haben, sich als hegemoniale Formen durchzusetzen und sich weltweit zu globalisieren“.2

2. Sicherheitsmaßnahmen und –praxen

Die gesellschaftliche Dominanz der Sicherheitsperspektive führt dazu, dass immer mehr Technik installiert wird, die ‚Sicherheit’ erzeugen soll (z.B. Sprengstoffsensoren, Überwachungs- und Körperkameras, Körperscanner etc.), dass immer mehr Menschen in der Sicherheitsbranche arbeiten (wie in München, wo das Kreisverwaltungsreferat gerade einen eigenen Ordnungsdienst einführt und wo die Polizei Freiwillige akquiriert, die in ihren eigenen Stadtvierteln für ‚Sauberkeit’, ‚Ordnung’ und ‚Sicherheit’ sorgen.

Auf Sicherheitsmaßnahmen und -praxen zu blicken, bedeutet zu fragen, was jeweils getan wird, um ‚Sicherheit’ zu erzeugen. Sicherheitssysteme, so hat der Philosoph Michel Foucault gezeigt, operieren oft im Modus der Wahrscheinlichkeit und damit auch immer häufiger präventiv, sie zergliedern und zerteilen Räume, um sie besser kontrollieren zu können, doch es geht es ihnen dabei nicht um mehr Grenzen, sondern um mehr Wissen.

icherheitssysteme bauen auf Überwachung, Klassifizierungen und Diagnosen auf und gehen deshalb auch mit einer Inflation des Juristischen einher. Dennoch: Sicherheitssystemen geht es nicht um die Schließung von Gesellschaften oder Nationen, sondern darum, die Zirkulation von Waren, Menschen und Gedanken zu ermöglichen. Das heißt die Logik der ‚Sicherheit’ und der ‚Freiheit’ sind stark miteinander verknüpft: Um möglichst viel Freiheit für jeden zu ermöglichen, muss der Staat in der Sicherheitslogik sich und seine Bevölkerung vor Delinquenz, Angriffen, Epidemien etc. schützen. Dazu muss er Daten und Wissen erheben, um vorhersehen zu können, was passieren wird, und um Gefährdungen zu verhindern. Die Logik der Sicherheit ist also eine Logik der Statistiken und Wahrscheinlichkeiten und des Abwägens.

Der Modus der Sicherheit gleicht einer Spirale3; denn ist das Nachdenken darüber, was alles passieren könnte, einmal in Gang gesetzt, so lässt es sich schwer wieder eindämmen. Und so führen Diskurse über Sicherheit und Sicherheitsmaßnahmen meist nicht dazu, dass sich Menschen sicherer fühlen, sondern ins Gegenteil.

3. Sicherheitsakteur_innen

Wenn wir uns mit ‚Sicherheit’ beschäftigen, sollten wir nicht nur auf den Staat und seine Institutionen und Vertreter_innen blicken. ‚Sicherheit’ ist ein Alltagsthema. Eines, das den Alltag betrifft und in ihm entsteht. Zum Beispiel im Alltag von Sicherheitskräften. Und damit sind nicht nur Polizist_innen gemeint, sondern auch Türsteher_innen, Wissenschaftler_innen, die Sicherheitstechnologien produzieren, oder Sozialarbeiter_innen, die für eine entspannte Stimmung auf Münchens Feiermeile sorgen.

Dies betont auch die so genannte Pariser Schule, eine soziologische Schule, die vor allem Sicherheitspraxen beleuchten möchte. Ihre Vertreter_innen betonen, wie auch andere Sicherheitsforscher_innen aktuell, dass sich das Sicherheitsverständnis seit dem Ende des Kalten Krieges massiv gewandelt hat. Während es damals vor allem um die ‚Sicherheit’ des Staates ging und damit vor allem auch um militärische Mittel, um diese herzustellen, ist die Grenze zwischen Polizei und Militär heute längst verschwommen und die Zahl der Sicherheitsakteure massiv gestiegen.4

Zudem werden mehr und mehr Themen heute als Sicherheitsthemen verhandelt (z.B. auch das Klima, die Umwelt etc.). Dies bezeichnet die Kopenhagener Schule (eine weitere politikwissenschaftlich-soziologische Schule) als Versicherheitlichung. Mit Versicherheitlichung meinen ihre Vertreter_innen, dass etwas nicht einfach ein Sicherheitsproblem oder -thema ist, sondern, dass es durch Sprechakte, z.B. Studien, Statistiken, Presseartikel etc., dazu gemacht wird. Diese Sprechakte konstruieren etwas als existentielle Bedrohung, weshalb Ausnahmemaßnamen ergriffen werden.5 Ob sich eine solche Versicherheitlichung jedoch durchsetzt, hängt auch von ihrem Publikum ab.

4. Sicherheitsöffentlichkeiten

‚Sicherheit’, schreiben Thierry Balzacq, Didier Bigo und andere Vertreter_innen der Pariser Schule, funktioniere wie ein Filter, mit dem entschieden wird, wer beschützt und wer geopfert werden soll, wer ein Objekt der Angst ist und wer Angst haben soll.6 Deshalb ist die Frage nach den Öffentlichkeiten von ‚Sicherheit’ wichtig: Wer fühlt sich von Sicherheitsdebatten angesprochen, wer fühlt sich unsicher und wer sorgt für die eigene Sicherheit?

Und: Wer wird durch Sicherheitsdebatten ausgeschlossen, verdrängt und zum gefährlichen Objekt gemacht? Um wessen Sicherheit geht es in Sicherheitsdebatten und um wen geht es gerade nicht?

Das Streben nach Sicherheit und Sicherheitsmaßnahmen hat stets Effekte: Es schließt manche Menschen aus – vor allem jene, die ohnehin bereits an den Rändern der Gesellschaft leben – und setzt zumeist eine unaufhaltsame Spirale in Gang: Wo Sicherheitsmaßnahmen ergriffen und Sicherheitsfragen diskutiert werden, da führt dies zumeist zu mehr Unsicherheit als Sicherheit, indem z.B. ein Klima der Angst erzeugt wird. Dies bedeutet, dass wiederum neue Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden müssen.

 

 

Literatur

1 Schwell, Alexandra (2014): ‚Niemand darf sich sicher fühlen!’ Anthropologisch Perspektiven auf die Politik der Inneren Sicherheit. In: Adam, Jens / Vonderau, Asta (Hg.): Formationen des Politischen. Anthropologie politischer Felder. Bielefeld: 275–304. (weiterlesen...)

2 Meyer, Katrin (2014): Kritik der Sicherheit. Vom gouvernementalen Sicherheitsdenken zur Politik der ‚geteilten Sorge‘. In: traverse. Zeitschrift für Geschichte 16/1: 25. (weiterlesen...)

3 Bonß, Wolfgang / Wagner, Katrin (2016): Sicherheitspositionen. Zur Perzeption und Diskussion von Sicherheitsmaßnahmen am Flughafen. In: Fischer, Susanne / Masala, Carlo (Hg.): Innere Sicherheit nach 9/11. Sicherheitsbedrohungen und (immer) neue Sicherheitsmaßnahmen. Wiesbaden: 85-101. (weiterlesen...)

4 Balzacq, Thierry / Basaran, Tugba / Bigo, Didier / Guittet, Emmanuel-Pierre / Olsson, Christian (2010): Security Practices. In: International Studies Encyclopedia Online: 1 – 30. (weiterlesen...)

5 Buzan, Barry / Waever, Ole / de Wilde, Jaap (1998): Security. A New Framework for Analysis. Boulder: 21- 47. (weiterlesen...)

6 Balzacq, Thierry / Basaran, Tugba / Bigo, Didier / Guittet, Emmanuel-Pierre / Olsson, Christian (2010): Security Practices. In: International Studies Encyclopedia Online: 1 – 30. (weiterlesen...)